Heilpflanze des Jahres 2024
Der Schwarze Holunder
von R. Schwanzer

Großer Holunder vor altem FachwerkhausZoombild vorhanden

Holunder im Freilandmuseum Bad Windsheim
(© A. Eder-Schwanzer)

Sowohl für die Blüten als auch für die reifen Früchte des Schwarzen Holunders (Sambucus nigra) finden sich in der Naturmedizin zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten. Um auf seine vielen Vorzüge hinzuweisen, wurde der Strauch vom Naturheilverein „Theophrastus“ zur Heilpflanze des Jahres gewählt.

Darüber hinaus sind die Blüten und Früchte in der Tierwelt geschätzte Nahrung, aber auch in der Küche vielseitig verwendbar. Und schließlich hat der Holler einen festen Platz in der Welt der Mythen und Märchen.

Die Ökologie des Holunders

Der stickstoffliebende, raschwüchsige, i. d. R. etwa 4 – 6 m hoch werdende Strauch kann gelegentlich mit bis zu 40 cm Durchmesser und 10 m Höhe sogar die Dimension eines kleinen Bäumchens und ein Alter von über 80 bis 100 Jahren erreichen. Man findet den „Holler“ oder „Holder“, wie er auch umgangssprachlich im süddeutschen Raum genannt wird, häufig an sonnigen bis halbschattigen Waldrändern und Lichtungen und als Kulturbegleiter auch regelmäßig in Hecken, Gebüschen und Gärten. Seine betäubend-süßlich riechenden, schirmartig angeordneten Blütenrispen zeigen mit ihrem Erscheinen im Mai / Juni den Beginn des Frühsommers an. Wegen der Pollen werden sie insbesondere von zahlreichen Fliegenarten, Schwebfliegen, Käfern und Kleinschmetterlingen besucht.

Ab Mitte August bis Ende September entwickeln sich dann die saftigen, schwarzviolett glänzenden Steinfrüchte. Diese sind bei beerenfressenden Säugern, aber insbesondere bei Vögeln, namentlich den Drosselarten, ausgesprochen beliebt. Sie bilden zu dieser Zeit einen wesentlichen Bestandteil ihrer Nahrung. Mit 62 nachgewiesenen Vogelarten steht der Holunder damit als Futterpflanze nach der Vogelbeere, mit lediglich einer Art mehr, im Ranking knapp auf Platz zwei der heimischen Gehölze. Damit ist eine rasche und sichere Verbreitung der Samen gewährleistet.

Vom Strauch in die Hausapotheke und Küche der Bauern

Es gibt nur wenige Heilpflanzen, die in der Volksmedizin so beliebt sind wie der Schwarze Holunder. Nach dem Motto „ein Holler am Haus erspart den Arzt“ galt er als die „Hausapotheke“ des Bauern. Dabei finden die schweißtreibenden und schleimlösenden Blüten als Schwitztee gegen fieberhafte Erkältungskrankheiten auch heute noch Verwendung, selbst in der Schulmedizin. Zudem wurden diese als Blutreinigungsmittel bei Hautunreinheiten und üblem Körpergeruch sowie bei Rheuma und Gicht gebraucht.

Die gekochten, schwarzen, an Vitamin C reichen „Beeren“, als Saft oder Mus zubereitet, helfen gegen Husten und Erkältungskrankheiten. Sie wurden früher auch zur Darmreinigung angewandt. Dabei enthalten sie den höchsten Anteil von Antioxidantien (Anthocyane) aller heimischen Früchte und sind damit perfekte Radikalfänger. Darüber hinaus wirken die zahlreichen Inhaltsstoffe antiviral, immunstimulierend und antientzündlich. Roh verzehrt hingegen sind die Früchte schwach giftig und rufen bisweilen Übelkeit, Erbrechen und Durchfall hervor. Gleiches gilt für die früher ebenfalls verwendete frische, grüne Bastrinde. Je nach Schabrichtung – aufwärts oder abwärts – sollte sie, der Analogie entsprechend, entweder Erbrechen oder Durchfall auslösen.

Wie steinzeitliche archäologische Funde belegen, ist der Schwarze Holunder einer der ältesten pflanzlichen Kulturbegleiter des Menschen. Er gehört damit zu den wenigen Pflanzen, die von der Vorgeschichte bis zur Gegenwart verwendet wurden und immer noch werden.

Nicht nur Arznei, sondern auch Genuss

Zwei Dolden mit Beeren des Schwarzen Holunders hängen über einen Holzzaun

Die reifen glänzend schwarzvioletten Früchte des Schwarzen Holunders
(© R. Schwanzer)

Holunderblütendolden finden, in Pfannkuchenteig ausgebacken, als „Hollerstreiberli“ auch heute noch ihren Weg in die Küche. Und mit Zucker, Wasser und Zitrone angesetzt ergeben sie, leicht vergoren als „Hollersekt“, eine köstliche aromatische Sommerlimonade. Die gekochten Beeren lassen sich beispielsweise zu Saft verarbeiten, machen aber auch als Gelee, gerne zusammen mit Äpfeln oder Birnen, eine gute Figur. Ebenfalls sehr aromatisch und schmackhaft sind auch die eher sauren Zubereitungsarten wie z. B. Holunderessig oder Chutneys.

Als Zauberpflanze, Heil- und Schutzbaum geschätzt

Zu kaum einer anderen Pflanze gibt es so viele Sagen, Märchen, Mythen und überliefertes Brauchtum, wie zum Schwarzen Holunder, worin häufig verschlüsseltes altes Wissen weitergegeben wird.

Der Name Holunder hat seine Wurzel im althochdeutschen „Holantar“, was so viel wie Baum der Hola (Holla) oder Holda bedeutet. Einer den Menschen freundlich gesonnen germanischen Göttin, aus der später Frau Holle wurde. Übrigens haben auch die Worte „hold“ und „heilen“ hier ihren Ursprung. Sie beschützte Mensch und Tier vor Unglück, wachte über Haus, Hof und Äcker und begleitete Geburt, Ehe und Tod. Schon allein deshalb war es Sitte, einen Holunderbusch, als deren heiligen Baum, in nächster Nähe des Hauses zu haben, einen „Husholder“ eben, der diese Schutzfunktionen gewährleistete. Zudem glaubte man, dass der Holunder negative Energien und Unheil sowie alle möglichen Leiden und Krankheiten, v. a. Fieber und Gicht, anzieht und in die Unterwelt ableitet, weshalb man z. B. symbolisch eitrige Verbände dem Holler an die Zweige „anhängte“. In seinem Schatten vergrub man auch ausgefallene Zähne, Haare und Nägel, um zauberischen Missbrauch zu verhindern und wähnte sich unter ihm auch vor Schlangenbissen und Mückenstichen sicher. Daher war es streng verboten einen Holler zu fällen, denn man konnte seine eigene Gesundheit oder gar sein Leben riskieren. Auch war zu befürchten, dass das Vieh Schaden nahm. War es dennoch erforderlich, waren Versöhnungsrituale unbedingt vonnöten. Das abgeschnittene Holz durfte jedoch keinesfalls verbrannt oder anderweitig genutzt werden, sondern sollte wieder der Erde übergeben werden.

Die Aura des Hollers als Zauberpflanze reicht bis in die Gegenwart. So ist der in dem Roman „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ beschriebene „Elderstab“ aus Holunderholz gefertigt und in den Händen seines legitimen Besitzers mächtiger als alle anderen Zauberstäbe.

Respektierter Wohnort von guten Hausgeistern und Ahnen

Man glaubte, dass der Holunder beseelt oder bewohnt sei und wohlgesonnene Hausgeister beherbergt. Ebenfalls ein Grund, weshalb er häufig in den Hausgärten oder nah am Haus gepflanzt wurde. Ferner galt der Holler als „Kinderbaum“, der von Schwangeren umarmt wurde, weil er reichen Kindersegen versprach und die Entbindung erleichtern sollte. In ihm warteten die Seelen der Verstorbenen - die der späteren Kinder - auf ihre Wiedergeburt. Als Baum der Ahnen, der Haus- und der Erdgeister opferte man dort bisweilen Milch, Brot und Bier.

Nach der Einführung des Christentums wurde der alte Brauch, an Bäumen zu opfern, ausdrücklich verboten. Des Weiteren wurde versucht, den heidnischen Holunder abzuwerten und zu verteufeln, was jedoch nicht sehr erfolgreich war, denn die bäuerliche Bevölkerung hatte nach wie vor großen Respekt vor dem heilkräftigen Strauch. „Vor dem Holunder zieh den Hut herunter“ - vor einem derart mächtigen Baum haben sich die Bauern verbeugt oder ehrerbietig den Hut gezogen. In ganz Nordeuropa wurde der Holunder mit Hochachtung als Frau Ellhorn oder Frau Holler angesprochen.

Die giftige Verwandtschaft des Schwarzen Holunders

Neben dem Schwarzen Holunder kommen bei uns noch zwei weitere, mehr oder weniger giftige Holunderarten vor. Zu deren Giftigkeit gibt es z. T. widersprüchliche Angaben.
Da ist zunächst der vor allem auf Sturmwurf- und Borkenkäfer-Kahlfächen vorkommende, ebenfalls strauchförmige und stickstoffliebende Trauben- oder Hirschholunder (Sambucus racemosa) zu nennen, wegen seiner roten „Beeren“ auch gelegentlich Roter Holunder genannt. Seine rohen Früchte sind, wie die Samen, giftig, während das gekochte Fruchtfleisch angeblich genießbar wird. Unbestritten sind sie bei zahlreichen Vogelarten ebenfalls sehr beliebt, namentlich bei den Rotkehlchen.

Des Weiteren der nicht verholzte Stauden- oder Zwergholunder (Sambucus ebulus), auch Attich genannt. Er besitzt ein kräftiges Rhizom und wächst vorzugsweise entlang von Gräben, an Waldrändern und auf Lichtungen. Wie der schwarze Holunder wartet er ebenfalls mit schwarzen, beerenartigen Früchten auf, die jedoch in jedem Fall giftig sind.