Heilpflanze des Jahres 2024
Der Schwarze Holunder
von R. Schwanzer
Holunder im Freilandmuseum Bad Windsheim
(© A. Eder-Schwanzer)
Sowohl für die Blüten als auch für die reifen Früchte des Schwarzen Holunders (Sambucus nigra) finden sich in der Naturmedizin zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten. Um auf seine vielen Vorzüge hinzuweisen, wurde der Strauch vom Naturheilverein „Theophrastus“ zur Heilpflanze des Jahres gewählt.
Darüber hinaus sind die Blüten und Früchte in der Tierwelt geschätzte Nahrung, aber auch in der Küche vielseitig verwendbar. Und schließlich hat der Holler einen festen Platz in der Welt der Mythen und Märchen.
Die Ökologie des Holunders
Ab Mitte August bis Ende September entwickeln sich dann die saftigen, schwarzviolett glänzenden Steinfrüchte. Diese sind bei beerenfressenden Säugern, aber insbesondere bei Vögeln, namentlich den Drosselarten, ausgesprochen beliebt. Sie bilden zu dieser Zeit einen wesentlichen Bestandteil ihrer Nahrung. Mit 62 nachgewiesenen Vogelarten steht der Holunder damit als Futterpflanze nach der Vogelbeere, mit lediglich einer Art mehr, im Ranking knapp auf Platz zwei der heimischen Gehölze. Damit ist eine rasche und sichere Verbreitung der Samen gewährleistet.
Vom Strauch in die Hausapotheke und Küche der Bauern
Die gekochten, schwarzen, an Vitamin C reichen „Beeren“, als Saft oder Mus zubereitet, helfen gegen Husten und Erkältungskrankheiten. Sie wurden früher auch zur Darmreinigung angewandt. Dabei enthalten sie den höchsten Anteil von Antioxidantien (Anthocyane) aller heimischen Früchte und sind damit perfekte Radikalfänger. Darüber hinaus wirken die zahlreichen Inhaltsstoffe antiviral, immunstimulierend und antientzündlich. Roh verzehrt hingegen sind die Früchte schwach giftig und rufen bisweilen Übelkeit, Erbrechen und Durchfall hervor. Gleiches gilt für die früher ebenfalls verwendete frische, grüne Bastrinde. Je nach Schabrichtung – aufwärts oder abwärts – sollte sie, der Analogie entsprechend, entweder Erbrechen oder Durchfall auslösen.
Wie steinzeitliche archäologische Funde belegen, ist der Schwarze Holunder einer der ältesten pflanzlichen Kulturbegleiter des Menschen. Er gehört damit zu den wenigen Pflanzen, die von der Vorgeschichte bis zur Gegenwart verwendet wurden und immer noch werden.
Nicht nur Arznei, sondern auch Genuss
Die reifen glänzend schwarzvioletten Früchte des Schwarzen Holunders
(© R. Schwanzer)
Als Zauberpflanze, Heil- und Schutzbaum geschätzt
Der Name Holunder hat seine Wurzel im althochdeutschen „Holantar“, was so viel wie Baum der Hola (Holla) oder Holda bedeutet. Einer den Menschen freundlich gesonnen germanischen Göttin, aus der später Frau Holle wurde. Übrigens haben auch die Worte „hold“ und „heilen“ hier ihren Ursprung. Sie beschützte Mensch und Tier vor Unglück, wachte über Haus, Hof und Äcker und begleitete Geburt, Ehe und Tod. Schon allein deshalb war es Sitte, einen Holunderbusch, als deren heiligen Baum, in nächster Nähe des Hauses zu haben, einen „Husholder“ eben, der diese Schutzfunktionen gewährleistete. Zudem glaubte man, dass der Holunder negative Energien und Unheil sowie alle möglichen Leiden und Krankheiten, v. a. Fieber und Gicht, anzieht und in die Unterwelt ableitet, weshalb man z. B. symbolisch eitrige Verbände dem Holler an die Zweige „anhängte“. In seinem Schatten vergrub man auch ausgefallene Zähne, Haare und Nägel, um zauberischen Missbrauch zu verhindern und wähnte sich unter ihm auch vor Schlangenbissen und Mückenstichen sicher. Daher war es streng verboten einen Holler zu fällen, denn man konnte seine eigene Gesundheit oder gar sein Leben riskieren. Auch war zu befürchten, dass das Vieh Schaden nahm. War es dennoch erforderlich, waren Versöhnungsrituale unbedingt vonnöten. Das abgeschnittene Holz durfte jedoch keinesfalls verbrannt oder anderweitig genutzt werden, sondern sollte wieder der Erde übergeben werden.
Die Aura des Hollers als Zauberpflanze reicht bis in die Gegenwart. So ist der in dem Roman „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ beschriebene „Elderstab“ aus Holunderholz gefertigt und in den Händen seines legitimen Besitzers mächtiger als alle anderen Zauberstäbe.
Respektierter Wohnort von guten Hausgeistern und Ahnen
Nach der Einführung des Christentums wurde der alte Brauch, an Bäumen zu opfern, ausdrücklich verboten. Des Weiteren wurde versucht, den heidnischen Holunder abzuwerten und zu verteufeln, was jedoch nicht sehr erfolgreich war, denn die bäuerliche Bevölkerung hatte nach wie vor großen Respekt vor dem heilkräftigen Strauch. „Vor dem Holunder zieh den Hut herunter“ - vor einem derart mächtigen Baum haben sich die Bauern verbeugt oder ehrerbietig den Hut gezogen. In ganz Nordeuropa wurde der Holunder mit Hochachtung als Frau Ellhorn oder Frau Holler angesprochen.
Die giftige Verwandtschaft des Schwarzen Holunders
Da ist zunächst der vor allem auf Sturmwurf- und Borkenkäfer-Kahlfächen vorkommende, ebenfalls strauchförmige und stickstoffliebende Trauben- oder Hirschholunder (Sambucus racemosa) zu nennen, wegen seiner roten „Beeren“ auch gelegentlich Roter Holunder genannt. Seine rohen Früchte sind, wie die Samen, giftig, während das gekochte Fruchtfleisch angeblich genießbar wird. Unbestritten sind sie bei zahlreichen Vogelarten ebenfalls sehr beliebt, namentlich bei den Rotkehlchen.
Des Weiteren der nicht verholzte Stauden- oder Zwergholunder (Sambucus ebulus), auch Attich genannt. Er besitzt ein kräftiges Rhizom und wächst vorzugsweise entlang von Gräben, an Waldrändern und auf Lichtungen. Wie der schwarze Holunder wartet er ebenfalls mit schwarzen, beerenartigen Früchten auf, die jedoch in jedem Fall giftig sind.